anders scrmn meisner.
her lost necklace. your big chance
14./15./16. juni 2018

Anders Scrmn Meisner, Kopenhagen

Her lost necklace. Your big chance

14. – 16. Juni 2018 17:00–20:00 und nach Vereinbarung

 

Der Künstler komponiert seine individuellen Narrationen aus verschiedenen Bildräumen als Bild im Bild. Als Charakteristika in Meisners Werk finden sich wiederkehrende Motive, die in unterschiedlicher Komposition zu unerwarteten und bekannten Situationen und Erzählungen führen: „Während die Männer Sport schauten (2018)“, trifft Sappho auf Aphrodite. Am Fenster findet die Erzählung ihren Anfang und ihre Fortsetzung.

„The Nap (2018)“ steht am Anfang der Geschichte. Wir sehen ein Interieur, umrahmt von Zierwerk. Eine Liegende auf einem roten Sofa ist vom Betrachter abgewandt. Auf der linken Seite wächst eine Pflanze ins Bild. Im Hintergrund gibt es ein Fenster mit einem Vorhang. Ein wiederkehrendes Thema dieser Serie. Soweit können wir die Szene objektiv beschreiben. Das nächste Element ist bereits ambivalent. Der Maler thematisiert den Bildraum, das Bild im Bild und als verbindendes Element die Figur am Fenster. Wie weit diese als Sozialstudien intendiert – ASM gelangen situative Stimmungsbilder u.a. über den Verlust lebendiger Kommunikation.

 

 

APHRODITE. Die Laster einer Göttin

“The Nap” soll am Anfang unserer Geschichte stehen. Wir sehen einen Innenraum, der von zwei ornamentalen Bändern gerahmt wird. Eine Figur mit dunklen ‘Haaren’ liegt auf einem roten Sofa,  das Gesicht vom Betrachter abgewandt. Links befindet sich eine ins Bild hineinragende Pflanze. Öfters finden sich bei ASM Pflanzen, die von links in das Bild hineinwachsen. Rechts im Hintergrund gibt es ein Fenster mit einem Vorhang. Auch dies ist ein wiederkehrendes Motiv dieser Serie. Bereits bei dieser kurzen Beschreibung bin ich mir schon nicht sicher, ob es sich um ein Fenster mit einem blauen Vorhang handelt oder nicht; wohl doch eher um ein weiteres Gemälde im Gemälde, welches im unteren Teil gelb und im oberen einen gemalten Vorhang in zwei verschiedenen Blautönen aufweist? Noch unsicherer bin ich mir beim unteren Teil des Gemäldes, denn das weisse Halbrund könnte durchaus ein Teppich sein auf dem das Sofa steht. Wenn auch ein eher ungewöhnlicher Teppich mit wolkenartigen Hügeln oder hügelartigen Wolken, einer Mondsichel und drei laufenden Hunden, die alle gleichzeitig das hintere linke Bein heben. Falls es ein Teppich ist, was ist dann aber das grüne, das Bild unten abschliessende Feld, welches eine Variation der Hügel oder Wolken enthält. Auch die Hügel oder Wolken, die Mondsichel und der Hund sind wiederkehrende Elemente dieser Serie. Wer ist diese Gestalt? Wo befinden wir uns? Und was soll das Ganze eigentlich?

Nehmen wir “Early Nights / Night Shift” hinzu, so haben wir eine weitere schlafende Gestalt. Dieses Mal mit roten ‘Haaren.’ Dieses Mal von oben gesehen. Der Umriss des unter der Decke liegenden Körpers wird angedeutet. Eine zweite Decke. Die andere Seite des Doppelbettes ist leer. Kopfkissen und Bettwäsche enthalten schwarze Punkte und bilden mit dem blauen Rahmen ein Ornament. Irgendwie provenzalisch. Sechs Paare von Kirschen treten hervor. Vielleicht handelt es sich aber auch um Gerätschaften zum Training der Beckenbodenmuskulatur. Egal; da Kirschen seit jeher sinnliche Früchte sind und das Training durch ‘Venus Balls’ wie die ‘Ben Wa Balls’ auch genannt werden, Freude bereitet, wollen wir die namenlose schlafende Gestalt Aphrodite nennen. Ob sie vielleicht einsam oder nur allein ist, dies vermögen wir nicht zu sagen.

Auf jeden Fall könnte sie Blumen mögen, der Passion des Rauchens frönen und einen Vogel haben, wie es in “Pet Bird / Passive Smoking” in verschiedenartigen aufeinander abgestimmten Blautönen portraitiert ist. Auch in diesem Werk bleibt uns ASM die Lösung seiner angedeuteten Geschichte schuldig. Ob die qualmende Zigarette oder gar die angepickten Blätter dem Vogel zugeordnet werden können oder letztere gar eine Folge des passiven Rauchens bzw. in gerollter Form den Rauch erst verursachen, all dies bleibt offen. Auch, ob es sich vielleicht um die Anwesenheit eines abwesenden Menschen handeln könnte, der durch Zigarette und Hund personifiziert wird.

Irgendwann – an einem dieser Abende als “The Men Were Watching Sports” – begegnet Aphrodite bei einem Spaziergang einer Seelenverwandten. Von einem Backsteinbau und dessen leeren Fenster der beleuchteten Wohnungen flankiert und von den ausladenden Ästen eines riesigen Baumes geschützt, wandeln die beiden Gleichgesinnten unter dem anregenden Licht dreier Strassenlampen. Wie sich herausstellen konnte, ist es eine Frau aus dem Nachbarhaus: Ihr Name ist Sappho.

SAPPHO oder unerfüllte Leidenschaft

Lange schon hatte Aphrodite am Fenster stehend die Figur im Nachbarhaus entdeckt und wieder und wieder beobachtet. Sie hatten scheinbar dieselben Vorlieben, dieselben Vorhänge, dasselbe Gewand. Ob diese “Modern Sappho” wohl auch einen Hund besass und Ornamente liebte. Schon dieser Name – Sappho – war verheissungsvoll und vielversprechend.

Es war eine dieser klassischen “Scandinavian Date Nights” als sich die beiden schliesslich näherkamen. Mit Ausblick auf das in der Ferne schimmernde Meer findet das ganze Geschehen in Abwesenheit der beiden Hauptdarstellerinnen statt. Dennoch sind sie präsent. Zwei halbvolle Gläser Rotwein. Eine Flasche, die eine Kerze hält. Der auf dem Teppich liegende und abwartende Hund Aphrodites. Die zwei Vögel, welche das Geschehen links und rechts begrenzen. Die ganze Komposition lebt von einer Symmetrie, die jedoch nicht streng durchgehalten wird. Sogar die roten Hügelketten geben in ihren schwarzen gespiegelten Pendants diese Harmonie wieder. Parallel zur Kerze in der Flasche bestimmt in der rechten Bildhälfte ein Baum mit einem ausladenden Blattwerk das Bildfeld. Um die Zeit, welche die beiden Liebenden miteinander verbringen, anzudeuten, schenkt uns ASM zwei Mondsicheln, die von links oben nach rechts unten zu wandern scheinen. Durch diese beiden Monde macht ASM nicht nur die Ungleichzeitigkeit der vergehenden Zeit sichtbar, sondern betont auch die Gleichzeitigkeit des Zusammenseins der beiden Liebenden und somit die Qualität diese gemeinsame Zeit als ein gesamtes Erlebnis zu erfahren.

Nirgendwo wird die Einheit dieses gemeinsam Erlebten besser deutlich als in der möglichst exakten Wiederholung. Geschützt vom ornamentalen Dekor der Bettdecken liegen die beiden rothaarigen “Sappho and Aphrodite” nebeneinander und beieinander. Sogar die identische Kopfhaltung des Paares deutet die seelische Nähe an. Diese friedvolle Einheit spiegelt sich auch in der grössten Leidenschaft der beiden “Window Lovers” an, dem stundenlangen Schauen aus dem Fenster. Kopf an Kopf gelehnt, stehen die beiden vor dem Fenster und schauen dem nächtlichen Schneetreiben zu. Auch hier zeigt sich in der symmetrischen Komposition des ornamentalen Rahmens, die einzig im unterschiedlichen Wuchs der beiden Topfgewächse ihre Ausnahme findet, wie harmonisch diese Liebe ist. Kirschen und Liebeskugeln zu Hauf.

In “Waiting at the Cherry House” – etliche Zeit ist mittlerweile vergangen – stehen wir einer traurigen Situation gegenüber. Aphrodite steht allein vor dem nächtlichen Fenster. Noch immer spriessen die Pflanzen und noch immer gibt es reichlich Kirschen zu sehen, doch auf der Fensterbank liegt ein Schädel und blickt uns ohne Augen an. Wir wissen nicht genau, was vorgefallen ist, aber die Einsamkeit Aphrodites ist geradezu spürbar. Ihre Trauer ist zeitlos. Ebenso ihre Liebe. Aphrodite und der Schädel von Sappho werden durch den zwischen ihnen stehenden Blumentopf verbunden. Wir erinnern uns an das Decamarone, an Keats’ Gedicht und an die unterschiedlichen Versionen der Geschichte in den Gemälden von Holman Hunt, Waterhouse und von Millais. Es geht um Liebe, die über den Tod hinausgeht. Es geht um Lisabetta oder Isabella, wie sie von Keats genannt wurde, die den Schädel des von ihren Brüdern getöteten und geliebten Lorenzo in einem Topf mit Basilikum verwahrte. Diesen wässerte sie – dem Wahnsinn nah – mit ihren Tränen. In “Waiting at the Cherry House” nimmt das linke Bildfeld bereits das Kommende vorweg. Die rastlosen Seelen. Die Doppelschädel im gemeinsamen Grab. Der einsame Hund. Die nie endende Erinnerung an Vergangenes. ASM kombiniert hier das Prinzip der Schautafeln der Bänkelsänger (bench singer Bänkelsang or Moritat), die als Vorgänger serieller Bilderzählungen schlechthin dienen, mit der Wirkweise eines Epitaphs. So wird wie bereits in anderen Werken die Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit erfahrbar.

Diese Geschichte endet eigentlich wie sie begonnen hat. Mit einer weiblichen Figur liegend auf einer Couch. Von “The Nap” bis zum “Mid-life Therapy Room” hat sich viel ereignet. Unter den prachtvoll rot blühenden Zweigen zweier das obere Bildfeld bekrönenden Pflanzen und unter einem prallen Vollmond der über den drei blutroten Hügeln scheint, liegt Aphrodite auf einem Canapee. Ihr Haar ist nicht mehr Rot, sondern Schwarz. Mag die Dreiheit der Hügel auch für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stehen, so wirkt das Arrangement denn auch zeitlos und ortlos. Was für die Liebe zutrifft, gilt auch für die Einsamkeit dieser Göttin, denn die Liebe der Göttlichen zu einer Irdischen endet unweigerlich tragisch.

Ein trauriges Ende. Dennoch gibt es Trost. Zwar wirkt “Unopened Loveletter” wie ein Echo auf “Pet Bird / Passive Smoking”, dennoch hat es trotz aller kompositorischer und farblicher Gemeinsamkeiten gravierende Unterschiede. Die zentrale Pflanze wächst weitaus üppiger aus ihrem Topf heraus. Eine zweite Pflanze mit Topf steht daneben. Ein Hund ersetzt den Vogel. Und statt des Aschenbechers mit der glimmenden Zigarette finden wir nun den “Unopened Loveletter”. Dieser rote Brief enthält Sappho’s Ode an Aphrodite und hier soll der Anfang und das Ende dieses Appells an die Göttin der Liebe wiedergegeben werden.

Aphrodite, subtle of soul and deathless,
Daughter of God, weaver of wiles, I pray thee
Neither with care, dread Mistress, nor with anguish,
Slay thou my spirit!

Come to me now thus, Goddess, and release me
From distress and pain; and all my distracted
Heart would seek, do thou, once again fulfilling,
Still be my ally!

In ihrer Ode an Aphrodite bittet Sappho, diese begnadete Lyrikerin, die von Catull oftmals zitiert, von Horaz auf Höchste verehrt und von Platon gar als zehnte Muse bezeichnet wurde, die Göttin möge ihr bei ihren Problemen der unerwiderten Liebe zu einem Mädchen beistehen. Ob Sapphos Geständnis der Liebe zu einer jüngeren Grund für ihr plötzliches Ableben in dieser Geschichte gewesen sein mag oder ob es andere Gründe hatte, bleibt offen. Auch was mit der Göttin selbst geschehen ist, werden wir wohl nie erfahren. ASM gewährt uns nur einen kurzen Einblick in die gemeinsame Zeit der beiden.

Zuletzt bleibt uns nur noch ein einsamer “Dog on Comfort Blanket”, der an die wunderbaren und an die romantischen und tragischen, an die zweisamen und einsamen Momente dieser Geschichte erinnert. Zeit verrinnt. Das Ornament bleibt und ebenso der treue und wartende Hund.

MYTHEN (von Männern)

Männer sind nicht existent und fehlen in diesen Gemälden gänzlich. Nur im Titel “The Men Were Watching Sports” sind sie in ihrer Nicht-Präsenz präsent. Bei den Zeichnungen mit den Titeln “Hidden from the Ghouls”, “Save from the Ghouls” oder “Sleeping with the Spirits” fällt auf, dass diese sich mit Geistern und Dämonen auseinandersetzen. Da in diesen Bildmotiven dieselben Frauengestalten vorhanden sind, könnte man durchaus annehmen, dass es sich bei den ursprünglich Leichen fressenden ‘ghūls’, die mittlerweile als Zombis recht populär geworden sind, um männliche Wesen handeln könnte. Einige der in den Zeichnungen auftauchenden Wesen wie in “Modern Graveyard” oder in “Sleeping with the Spirits” abgebildet, scheinen durchaus H.P. Lovecrafts Ctulhu-Mythos zu entstammen. Frauen fürchten diese Ghouls und flüchten vor ihnen und bei ASM stehen nur sie im Mittelpunkt der Geschichten.

In jedem einzelnen Werk präsentiert uns ASM aber nur eine Momentaufnahme einer Geschichte. Sie weist keinen Anfang und kein Ende auf und scheint sich deshalb in verschiedene Richtungen entwickeln zu können. Dennoch ist es möglich, diese Kapitel zu einem sinnhaften Ganzen zusammenzufügen. Die Art und Weise, wie ASM seine Bildgeschehnisse formt und komponiert, erinnert an Matisse, mitunter an De Chirico und manches mal gar an Magritte. Sie lassen vielseitige Deutungsmöglichkeiten offen. Auch die Farbigkeit wirkt als verbindendes Element. Trotz einer starken Farbigkeit ist die Farbauswahl eher beschränkt und reduziert sich neben Schwarz und Weiss auf Blau-, Rot,- Orange- und Grüntöne. Diese sind hervorragend aufeinander abgestimmt. Ganz anders jedoch ist die teilweise grelle Farbigkeit der Zeichnungen, die über stärkere Kontraste verfügen.

Die Bildgeschichten enthalten wesentlich mehr als sie andeuten. Mit seiner Einbindung des Bildgeschehens in ein rahmendes Ornament – einem Thangka nicht unähnlich – und der oftmaligen Wiederkehr der sich wiederholenden Detailformen von Hund, Kirschen, Wolken bzw. Hügel, Vorhänge, Fenster, Pflanzen, Mondsicheln und Frauengestalten gelingt es ASM, die unterschiedlichen Teile der Geschichte miteinander zu verbinden.

Wofür Sappho und Aphrodite stehen? Für das Endliche angesichts des Unendlichen. Für die menschlichen Leidenschaften und das göttlich Unnahbare. Für die Wiederkehr des Ewig Gleichen in neuer Form.

Harald Kraemer

Collecteur & Raconteur, Hong Kong

 

https://www.scrmn.com/modern-love

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